Studie: Was interessiert Besucher am ehemaligen Reichsparteitagsgelände?

Blick auf die Steintribüne von der Wallanlage aus gesehen. | Foto: Nicole Fuchsbauer
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Die meisten ausländischen Besucher kommen aus den USA - An den Führungen nahmen im Jahr 2015 insgesamt 237.170 Personen teil - Videobeitrag

NÜRNBERG (pm/nf) - Das weltweite Interesse an der NS-Zeit und ihren baulichen Hinterlassenschaften belegt eine aktuelle von der Stadt Nürnberg beauftragte Studie. Erstmals wurden 2016 auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände Besucherinnen und Besucher befragt, die nicht an geführten Rundgängen teilnahmen, sondern individuell das rund elf Quadratkilometer große, von den Nationalsozialisten zur Inszenierung genutzte Areal erkundeten.

Neue Erkenntnisse über Wirkung, Interessen und Motive des Besuchs konnten ebenso gewonnen werden wie praktische Vorschläge für eine künftige Vertiefung der Informationen vor Ort. Im Auftrag des Kulturreferats der Stadt Nürnberg führte unter der Leitung von Prof. Dr. Charlotte Bühl-Gramer der Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zwischen Mai und Juli 2016 die Befragungen und Beobachtungen am ehemaligen Reichsparteitagsgelände durch. Im Fokus standen erstmals Besucherinnen und Besucher, die nicht an geführten Programmen der Bildungspartner und Touristikunternehmen teilnahmen. Das Ziel war es, mehr über Interessen, Motive und Eindrücke von Individualbesuchern auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände herauszufinden.

An drei ausgewählten Tagen (Samstag, 7. Mai, Donnerstag, 7. Juli, und Samstag, 9. Juli 2016), an denen keine anderen Sport- oder Großereignisse die Besucherzahlen beeinflussen konnten, wurden insgesamt 663 Personen befragt. An fünf vorher festgelegten Standorten auf dem gesamten Gelände konnten an den drei Tagen 16.797 Personen und deren Wahrnehmung des Geländeinformationssystems beobachtet werden.
Bemerkenswert ist, dass allein an den drei Befragungstagen die Interessierten aus 28 nicht-deutschen Herkunftsländern kamen. Die USA waren dabei am stärksten vertreten, gefolgt von Großbritannien. In Berührung mit dem Thema des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes kamen die meisten Befragten über den „Geschichtsunterricht“ oder „eigenes Interesse“. Nur 14 Prozent hatten über touristische Information davon erfahren.

Als Grund für ihren Besuch des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes nannten 48 Prozent der Befragten folglich ein „historisch-politisches Interesse“. Nahezu die Hälfte aller befragten Besucherinnen und Besucher wollte „die Größe des Reichsparteitagsgeländes erfassen“, „Geschichte erleben“ oder allgemein „Nazi-Architektur sehen“. Auf 83,3 Prozent wirkten die NS-Hinterlassenschaften bis heute „eindrucksvoll“ und „viel größer als gedacht“. Lediglich 12,1 Prozent hatten den gegenteiligen Eindruck und empfanden die Bauten als „viel kleiner als gedacht“.

Überraschend war der deutliche Mehrwert für viele Befragte, wenn sie neben dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände auch das Gelände selbst betreten und betrachtet haben. Den Besuch allein des Dokumentationszentrums ohne das Gelände hielt nur ein Drittel der Befragten für sinnvoll. Mehr als 70 Prozent von ihnen gaben an, durch die Begehung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes zusätzliche Erkenntnisse zur Geschichte des Geländes gewonnen zu haben. An der Spitze der am meisten aufgesuchten Orte liegen die Kongresshalle und die Zeppelintribüne, während der Luitpoldhain und die Reste des Märzfeldes deutlich seltener aufgesucht worden sind.

Mehr als drei Viertel der Befragten fühlte sich gut bis sehr gut durch die Tafeln des Geländeinformationssystems informiert. 93,1 Prozent der Befragten haben sie wahrgenommen und 81 Prozent auch genutzt. Wünsche für die Vertiefung der präsentierten Informationen wurden dabei vor allem von den Unter-20-Jährigen gemacht. Neue Medien oder ein Gelände-Audioguide sollten weitere Informationen über das während der Reichsparteitage Geschehene bereithalten. Auch die Geländeorientierung zwischen den Stationen könne noch verbessert werden.

Zusätzlich wurden aktuelle Zahlen bei den Anbietern geführter Programme abgefragt. Solche Angebote auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände nahmen allein im Jahr 2015 insgesamt 237.170 Personen an. Die nichtgeführten Individualbesucherinnen und -besucher erhöhen diese Zahl noch deutlich. Warum so viele Menschen den Weg auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände suchen, ist für Nürnbergs Kulturreferentin Professor Dr. Julia Lehner nachvollziehbar: „Die von der Universität Erlangen-Nürnberg ermittelten Zahlen bestätigen das weltweite Interesse an der NS-Zeit. Gerade jetzt, da Zeitzeugen uns immer weniger Auskunft geben können, wächst der Wunsch, die baulichen Relikte der NS-Diktatur vor Ort selbst in Augenschein zu nehmen und sich fachlich informieren zu lassen.“ Im Jahresverlauf ist die Veröffentlichung der gesamten Studie in den „Schriften des Kulturreferats der Stadt Nürnberg“ geplant.

Die Nationalsozialisten hatten das Gelände um den Nürnberger Dutzendteich von 1933 bis 1939 für die Inszenierung ihrer jährlichen Parteitage ausgebaut. 1934 bekam der Architekt Albert Speer den Auftrag für den Gesamtplan. Zu den zentralen Schauplätze gehörten das Zeppelinfeld mit Haupttribüne als Versammlungsort für bis zu 200.000 Menschen sowie Zuschauerwällen, die Luitpoldarena für Massenaufmärsche von NS-Verbänden wie SA und SS, der unvollendet gebliebene Kongressbau für bis zu 50 000 Menschen und das nicht realisierte Deutsche Stadion als größte Arena der Welt für 400 000 Zuschauer.

Im Video: 2016 hatte der Nürnberger Stadtrat Gelegenheit – zusammen mit Kulturreferentin Prof. Dr. Julia Lehner und Baureferent Daniel F. Ulrich – das Sanierungsprojekt ,,Zeppelintribüne/Zeppelinfeld“ in Augenschein zu nehmen. Die Gesamtanlage soll entsprechend der Leitlinien zum künftigen Umgang der Stadt mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände baulich gesichert werden.

Autor:

Redaktion MarktSpiegel aus Nürnberg

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