Bevölkerungsentwicklung 2020 im Zeichen der Pandemie
UPDATE: Babyboom, Stadtflucht, Übersterblichkeit – gibt es den ,,Corona-Effekt"?

Abbildungen zur Sterberate der Gesamtbevölkerung sowie zur Sterberate der Altersgruppe 80 und älter. Quelle: Einwohnermelderegister, Gesundheitsamt Nürnberg, Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth | Foto: Stadt Nürnberg
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NÜRNBERG (pm/nf) - Bereits während des Jahres 2020 kursierten zahlreiche Vermutungen darüber, wie sich die Corona- Pandemie auf die Bevölkerungsentwicklung auswirken könnte. Verschiedene Auswirkungen sind bereits zu erahnen. Klar ist aber, dass die demographischen Folgen erst in einigen Monaten oder Jahren vollumfänglich bewertet werden können, wie eine erste Einschätzung des Amts für Stadtforschung und Statistik Nürnberg und Fürth zeigt.

Erstmals seit vielen Jahren nahm die Bevölkerungszahl Nürnbergs im Jahr 2020 ab. In Nürnberg lebten zum 31.Dezember 2020532.331 Menschen mit Hauptwohnung, das sind 3.555 Personen bzw. 0,7 Prozent weniger als 2019. Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer, die den Rückgang der deutschen Bevölkerung bisher überkompensierte, nahm in Nürnberg im Jahr 2020 nur geringfügig zu. Das starke Wachstum der vergangenen Jahre scheint zunächst gebremst zu sein. Die Nürnberger Bevölkerung wuchs seit 2009. Ein besonders starkes Wachstum war von 2011 bis 2018, beeinflusst durch hohe Zuwanderungszahlen aus dem Ausland, zu beobachten.

Die aktuelle Entwicklung 2020 ist nicht Nürnberg-spezifisch. Für Deutschland schätzt das Statistische Bundesamt für 2020 erstmals seit 2011 kein Bevölkerungswachstum, sondern geht von einer Stagnation aus. Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung nehmen, neben den Geburten und Sterbefällen, die Zu- und Abwanderungen. Auffällig ist, dass 2020 insgesamt deutlich weniger gewandert wurde als im Vorjahr. Im Jahresverlauf ist der Einbruch der Zahl der Wanderungsbewegungen im März und April auffällig. Ein Corona-Effekt liegt nahe. Auch diese Entwicklung ist in Deutschland insgesamt zu beobachten. Da Nürnberg als Großstadt in der Vergangenheit von starker Zuwanderung profitierte, sind die Effekte besonders spürbar.

Im Zeitverlauf zwischen 2010 und 2020 fällt auf, dass in Nürnberg der Binnenwanderungssaldo innerhalb Deutschlands (also gegenüber Umland, restlichem Bayern und restlichem Deutschland zusammen) wie in vielen anderen deutschen Großstädten seit einigen Jahren negativ ist. Das bedeutet, dass mehr Menschen in andere deutsche Regionen abwandern, als nach Nürnberg zuwandern. Insbesondere gegenüber dem Umland verliert die Stadt seit einigen Jahren Bevölkerung. Dabei handelt es sich häufig um Familien. Der Wanderungsverlust Nürnbergs gegenüber dem Umland lag 2020 bei 3.374 Personen. Von einer „Stadtflucht“ infolge der Pandemie kann aber nicht gesprochen werden. Vielmehr setzt sich der bisherige Trend fort.

Gegenüber dem Ausland gewann Nürnberg in den letzten Jahren an Bevölkerung. 2015 war der Wanderungsgewinn besonders hoch. Die hohe Auslandszuwanderung trug in den letzten Jahren maßgeblich zum Bevölkerungswachstum Nürnbergs bei. Im Jahr 2020 war der Wanderungssaldo gegenüber dem Ausland weiter positiv, allerdings deutlich niedriger als in den Vorjahren. Der Saldo lag bei plus 436 Personen. 2020 wurden in Nürnberg 5.248 Lebendgeborene vermeldet, 6.103 Personen verstarben. Der natürliche Saldo ist, wie in den vergangenen Jahren, negativ. Ob es einen Babyboom infolge des „Frühlings-Lockdowns“ gab, kann aktuell noch nicht beurteilt werden. 

Abbildungen zur Sterberate der Gesamtbevölkerung sowie zur Sterberate der Altersgruppe 80 und älter. Quelle: Einwohnermelderegister, Gesundheitsamt Nürnberg, Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth | Foto: Stadt Nürnberg
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Übersterblichkeit am Jahresende 2020 in Nürnberg

Sowohl für Deutschland als auch für andere europäische Länder wurde für das Jahr 2020 eine Übersterblichkeit festgestellt. In Deutschland waren die Sterbezahlen laut Statistischem Bundesamt um fünf Prozent höher als im Vergleich zum Durchschnitt 2016 bis 2019, in Belgien wurden sogar 16 Prozent mehr Sterbefälle als im Durchschnitt des Vergleichszeitraums 2017 bis 2019 registriert. In Nürnberg starben im Jahr 2020 6.103 Personen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Sterbefälle um 180 Personen beziehungsweise drei Prozent an. Kann man deshalb in Nürnberg von einer Übersterblichkeit aufgrund der Corona-Pandemie sprechen?

Um das beurteilen zu können, betrachtete das Amt für Stadtforschung und Statistik die wöchentlichen Sterberaten im Jahr 2020 anhand einer Sonderauswertung. Während der Grippewelle, die üblicherweise die ersten Monate des Jahres prägt, lag die Sterberate aller Nürnbergerinnen und Nürnberger sowie in der Altersgruppe ab 80 Jahren unter dem Durchschnitt der Vorjahre. In Kalenderwoche 10 verstarben in Nürnberg im Durchschnitt 2017 bis 2019 etwa 23 Menschen ab 80 Jahren je 10.000 Personen dieser Altersgruppe, 2020 waren es dagegen nur 20.

Mitte März bis Anfang April (Kalenderwochen 12 bis 14) lagen die Sterbefallzahlen dagegen leicht über dem Durchschnitt 2017 bis 2019, obwohl die Grippesaison bereits in Kalenderwoche 12 als beendet erklärt worden war. Zugleich wurden in diesem Zeitraum die ersten Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet. Im Sommer waren die Sterbefallzahlen, abgesehen von einer Hitzeperiode im August (Kalenderwoche 33), nicht erhöht.

Ab Mitte November (Kalenderwoche 47) zeigt sich eine auffällige Entwicklung – insbesondere für die Altersgruppe ab 80 Jahren. Während in den Kalenderwochen 47 bis 52 im Durchschnitt der Vorjahre zwischen 2,0 und 2,3 Menschen je 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner verstarben, waren es 2020 2,7 bis 4,1. Noch deutlicher fällt der Anstieg bei den Menschen ab 80 Jahren aus: Hier lagen die wöchentlichen Sterberaten 2017 bis 2019 zwischen 18,0 und 21,6. 2020 erreichte die Sterberate in diesen Kalenderwochen Werte zwischen 25,1 und 39,4. Die Sterberate war damit in diesem Zeitraum um ein Drittel höher als 2017 bis 2019. Gleichzeitig gab es besonders viele Covid-19-Todesfälle. In Kalenderwoche 52 (21. bis 27. Dezember) verstarben absolut betrachtet so viele Menschen wie noch nie in einer Woche seit Betrachtungsbeginn Januar 2017 (220 Menschen insgesamt, darunter 138 ab 80 Jahren).92 Personen verstarben in dieser Woche laut Gesundheitsamt in Zusammenhang mit Covid-19.

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Gewisse wöchentliche Schwankungen der Sterbefallzahlen, die auch in den Vorjahren etwa durch Grippewellen oder Hitzeereignisse auftraten, sind normal. Gerade die Entwicklung zum Jahresende hin lässt jedoch eine zeitweise Übersterblichkeit erkennen und einen Zusammenhang zur Pandemie vermuten. Denn üblicherweise ist die Bandbreite der wöchentlichen Schwankung nach Ende der Grippesaison, mit Ausnahme von Hitzeereignissen, eher klein. Zudem fällt der parallele Verlauf der Sterberate und der Covid-19-Todesfälle je 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner auf. Insgesamt sind nicht nur die direkt an Covid-19 Verstorbenen zu berücksichtigen. Stattdessen gibt es eine nicht quantifizierbare Zahl an Verstorbenen, die indirekt an den Folgen der Pandemie verstorben sind und zum Beispiel in einer akuten medizinischen Notlage aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu spät ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen. Gleichzeitig können die Maßnahmen zum Infektionsschutz dafür gesorgt haben, dass weniger Sterbefälle durch Infektionskrankheiten, wie die Grippe, erfolgt sind. Die beobachtete Entwicklung ab März 2020 kann nur vor dem Hintergrund der ergriffenen Maßnahmen und der Verhaltensänderungen bewertet werden.

Die ausführliche Analyse wird am 19. März 2021 als Teil eines Berichts zur Bevölkerungsentwicklung 2020 erscheinen. Dieser wird unter folgendem Link abrufbar sein: https://www.nuernberg.de/internet/statistik/sus_2020_2024.html.


Hintergrund:

Übersterblichkeit am Jahresende 2020 in Nürnberg – methodische Hinweise:

Der Begriff „Übersterblichkeit“ beschreibt in Bezug auf die Corona-Pandemie, ob die Sterblichkeit imVergleich zur Nicht-Pandemie-Zeit auffällig erhöht war. Der Blick auf die Todesfälle insgesamt anstatt lediglich auf die Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 hat den Vorteil, dass verschiedene Probleme wie die Testkapazitäten und die Zählweise der Sterbefälle, welche die Zahl der Covid-19-Todesfälle beeinflussen, umgangen werden.
Für die Analyse gibt es verschiedene Ansätze. Dieser Bericht verwendet, analog zum Statistischen Bundesamt, einen deskriptiven Ansatz, der eine Übersterblichkeit dann erkennt, wenn zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr mehr Menschen starben, als nach den Sterbefällen vergangener Jahre erwartbar gewesen wäre. Als Referenz wird der Zeitraum 2017-2019 gewählt. Vorteile dieser Betrachtung sind die einfache und nachvollziehbare Berechnungsweise sowie die intuitive Verständlichkeit. Zudem ist ein direkter Vergleich zu den Covid- 19-Todesfällen möglich.
Nachteile sind, dass die Übersterblichkeit aus den Vorjahren miteinfließt undauch z.B. die steigende Lebenserwartung nicht berücksichtigt wird. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, ist es wichtig, zwei Aspekte zu beachten. Ein kalendarischer Faktor ist, dass 2020 ein Schaltjahr war und sich durch den zusätzlichen Tag auch mehr Sterbefälle ergeben. Ein demographischer Faktor ist, dass die Zahl der Menschen ab 80 Jahren in Nürnberg in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Während 2017 31 555 Menschen ab 80 in Nürnberg lebten, waren es 2020 bereits 35 724. Entsprechend steigt die Zahl der Sterbefälle tendenziell von Jahr zu Jahr. Um den demographischen Verschiebungen Rechnung zu tragen, wird die Sterberate für die Altersgruppe ab 80 gesondert ausgewiesen. Zudem wird die unterschiedliche Bezugsgröße, d.h. z.B. die gestiegene Anzahl der Menschen ab 80 Jahren, bei der Berechnung der (relativen) Sterberaten berücksichtigt.

Berechnung Sterberate: Sterbefälle in KW X / Bevölkerung zur Jahresmitte * 10 000 Einwohnerinnenund Einwohner (der Altersgruppe)
Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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