Krisentreffen mit Merkel und Spahn
Mehrere Bundesländer setzen Astrazeneca-Impfungen aus

Foto: Federico Gambarini/dpa/Symbolbild

BERLIN (dpa) - Während Bund und Länder weiter um ihren Corona-Kurs ringen, drohen erneut deutliche Verzögerungen beim Impfen. Mehrere Bundesländer setzten wieder Impfungen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca aus - diesmal für die Jüngeren.

Am Abend wollten Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder über den weiteren Umgang mit dem Astrazeneca-Impfstoff beraten. Zuvor bereits deutete sich eine geänderte Altersempfehlung der Ständigen Impfkommission an.

Das Präparat soll voraussichtlich nur noch für Menschen über 60 Jahre empfohlen werden. Das geht aus einem Beschlussentwurf der Ständigen Impfkommission (Stiko) hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Auch die «Augsburger Allgemeine» berichtete darüber. Allerdings könnte der Einsatz auch bei Jüngeren «nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoakzeptanz nach sorgfältiger Aufklärung möglich» bleiben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlug vor, die Impfreihenfolge für dieses Vakzin komplett aufzulösen. «Irgendwann wird man bei Astrazeneca speziell mit sehr viel Freiheit operieren müssen und sagen müssen: Wer will, und wer es sich traut quasi, der soll auch die Möglichkeit haben», sagte er.

Hintergrund der Diskussionen sind Hirnvenenthrombosen, die zuletzt im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen aufgetreten waren, vorwiegend bei Frauen unter 55. Die Länder Berlin und Brandenburg, die Stadt München und der Kreis Heinsberg in NRW setzten deshalb Impfungen mit Astrazeneca für bestimmte Bevölkerungsgruppen aus - einige für alle unter 60 Jahren, andere nur für jüngere Frauen. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nannte den vorläufigen Stopp eine «Vorsichtsmaßnahme».

In Deutschland sind laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bislang 31 Fälle einer Sinusvenenthrombose nach Impfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca bekannt. In neun Fällen war der Ausgang tödlich, wie das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Institut berichtete.

Der möglichen Impfstopp mit dem Präparat von Astrazeneca beeinträchtigt eine wichtige Säule im Kampf gegen die Pandemie. Seit einiger Zeit steigen die Infektionszahlen in Deutschland wieder deutlich. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Dienstagmorgen bei 135,2. Am Vortag hatte das RKI noch 134,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und sieben Tagen gemeldet. Ähnlich hoch waren die Werte zuletzt Mitte Januar.

Merkel hatte die Bundesländer deswegen mit Nachdruck an die vereinbarte Corona-Notbremse erinnert und angedeutet, notfalls könne auch der Bund einschreiten. Eine solche Möglichkeit untermauert ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Demnach kann der Bund den Ländern über das Infektionsschutzrecht Vorschriften zur Bekämpfung der Corona-Pandemie machen, die diese dann genau umzusetzen hätten. Der Bund könnte zum Beispiel vorgeben, welche konkreten Maßnahmen im Falle der Überschreitung eines bestimmten Inzidenzwertes in einem Gebiet - etwa in einem Landkreis - ergriffen werden müssen. Er kann auch Maßnahmen zum Infektionsschutz in Schulen anordnen, obwohl Schulen laut Grundgesetz Ländersache sind.

Eine gesetzliche Regelung kann nach Einschätzung von Innenminister Horst Seehofer allerdings nicht an den Ländern vorbei beschlossen werden. «Wir schätzen es so ein, dass so ein Gesetz mit höchster Wahrscheinlichkeit zustimmungspflichtig wäre im Bundesrat», sagte der CSU-Politiker. Er persönlich fände es aber richtig, wenn bundesweit einheitlich reagiert werde.

Söder forderte, dass in Hotspots dringend die vereinbarte Notbremse auch mit Ausgangsbeschränkungen bereits über Ostern gelten müsse. Er sei sich nicht sicher, ob jeder wirklich den Ernst der Lage verstanden habe, sagte der CSU-Chef. Er mahnte, angesichts der Zahlen sei jetzt nicht die Zeit für Streit zwischen Bund und Ländern sowie für Eifersüchteleien um Kompetenzen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff rief Merkel auf, die Corona-Politik soweit möglich aus dem Kanzleramt zu steuern. «Ich hab der Kanzlerin Mut gemacht, das, was sie schon kann, offensiv zu machen», sagte er. «Wenn der Bund alle Optionen, die er hat, ziehen würde, hätten wir keine Diskussion.»

Gut zwei Drittel der Deutschen wünschen sich ebenfalls, dass Merkel im Kampf gegen die Pandemie eine aktivere Rolle bekommt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der «Augsburger Allgemeinen» waren 67 Prozent der Befragten der Meinung, die Kanzlerin sollte stärker in die Corona-Politik der Länder eingreifen dürfen.

Die Kanzlerin hatte kritisiert, dass mehrere Länder derzeit statt strengerer Regeln sogar Modellprojekte mit Lockerungen planen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte den Stopp des Modellprojekts in Tübingen. Die Stadt in Baden-Württemberg testet derzeit, ob mehr Öffnungsschritte mit möglichst flächendeckendem Testen umsetzbar sind. «Sie geben das falsche Signal», schrieb Lauterbach auf Twitter. Das Tübinger Projekt zeige, dass unsystematisches Testen mit Öffnungsstrategien die schwere dritte Corona-Welle nicht aufhalten werde. ««Testen statt Lockdown» ist Wunschdenken, genau wie «Abnehmen durch Essen»», schrieb der SPD-Politiker.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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