Wie Zahnräder im Uhrwerk ++ Bewältigung von Corona ist ein Marathon, kein Sprint
24 Stunden im Einsatz: Spannender Blick hinter die Kulissen des Katastrophenschutzes

Ein Blick in die Arbeit der Führungsgruppe
Katastrophenschutz Nürnberger Land. | Foto:  Rolf List
  • Ein Blick in die Arbeit der Führungsgruppe
    Katastrophenschutz Nürnberger Land.
  • Foto: Rolf List
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NÜRNBERGER LAND (pm/nf) - Klack! Der Zeiger der Uhr im großen Sitzungssaal des Landratsamts in Lauf rückt auf die volle Stunde. 13 Uhr. Für rund dreißig Minuten stellen die Mitglieder der Führungsgruppe Katastrophenschutz Nürnberger Land (FüGK) ihr geschäftiges Treiben ein. Es beginnt die lauteste Phase im ansonsten konzentriert und nahezu lautlos vor sich gehenden Tagesablauf: Lagebesprechung.

Oben auf der Tribüne lauschen die Kollegen. Sie werden ab 14 Uhr die Spätschicht übernehmen. Der Örtliche Einsatzleiter – im Schichtdienst wechselt diese Aufgabe zwischen Feuerwehr, THW und BRK – präsentiert die aktuellen Daten fürs Nürnberger Land rund um die Corona-Pandemie. Und die Ergebnisse der Arbeit der letzten 24 Stunden: Wie viele Schutzmasken wurden ausgeliefert? Was muss nachbestellt werden? Wie viele Intensivbetten sind in den Krankenhäusern im Landkreis noch frei?

Zusammen mit dem Landrat, dem Leiter des Gesundheitsamtes, dem Versorgungsarzt und dem Leiter der FüGK geben sie alles, damit die Epidemie im Nürnberger Land für die Bevölkerung möglichst glimpflich abgeht. Im Notfall – wenn beispielsweise in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen kurzfristig Bedarf besteht und andere Bezugsquellen versiegt sind – liefern sie ihnen Desinfektionsmittel, Masken und weitere Schutzausrüstung – sozusagen als verlängerter Arm des Freistaates Bayern. Um halb acht haben sie den Dienst von den Kollegen der Nachtschicht übernommen.

„Sie“ – das sind die Mitglieder der Führungsgruppe Katastrophenschutz: Neben Landratsamts Mitarbeitenden aus dem Sachgebiet Brand- und Katastrophenschutz sind das vor allem Ehrenamtliche der Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis, des THW, des BRK und der Bundeswehr. Insgesamt zwölf Mann pro Schicht. Ja: es sind fast ausnahmslos Männer, die hier Dienst schieben. Katastrophenschutz in den Führungsfunktionen ist offenbar noch immer eine Männer-Domäne. Fast. Zwei Damen sind in die männliche Phalanx eingebrochen und arbeiten in der Unterstützungsgruppe tatkräftig und erfolgreich. Eine davon ist im Sitzungssaal dabei, die zweite unterstützt mit Recherchen vom Home-Office aus. Sie sind Vorreiterinnen für hoffentlich noch viele weitere Frauen, die sich in der Stabsarbeit in Rettungs- und Hilfsorganisationen engagieren wollen.

Aus Vorsorge sitzen alle FüGK-Mitglieder im Sitzungssaal mindestens zwei Meter voneinander entfernt. Vor ihnen auf dem Tisch stehen kleine Schilder mit ihren Funktionsbezeichnungen: ÖEL, FB SAN oder BeaBwZMZ und weitere. Was für Außenstehende merkwürdig klingt, ist für Fachleute – und das sind die Ehrenamtlichen wie die Hauptamtlichen – lange eingeübte Routine, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Jeder von ihnen kann sie im Schlaf aufsagen und die entsprechenden Aufgaben ausführen: Die klassischen Stabsfunktionen S1: Personal / Innerer Dienst; S2: Lage; S3: Einsatz; S4: Versorgung; usw.

Bei Corona jedoch ist alles ein bisschen anders als sonst: So hilft die Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung (UG ÖEL) normalerweise am Schadensort dem Örtlichen Einsatzleiter bei der Bewältigung der Lage, insbesondere mit Kommunikationsaufgaben. Bei Corona gibt es keinen Schadensort im klassischen Sinne. Daher ist die UG ÖEL im Sitzungssaal im Einsatz, sichtet als zentrales Verbindungsglied die eingehenden Meldungen und leitet sie an die zuständigen Positionen in der FüGK weiter. Ferner führt sie Markterkundungen durch, holt Angebote für Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel und Gerätschaften ein und bewertet sie. In enger Zusammenarbeit mit den übrigen Stellen kümmert sie sich darüber hinaus um die Verteilung des beschafften und erhaltenen Materials. Über die Fachberater Feuerwehr sowie für den Sanitätsdienst erfolgt die Auslieferung des Verbrauchsmaterials aus dem Logistiklager, das ebenfalls mit ehrenamtlichen Kräften besetzt ist.

Die Kollegen des THW erfassen die Krankenhauskapazitäten im Landkreis, er- und vermitteln zur Verfügung stehendes Personal und halten Kontakt mit den Pflegeeinrichtungen. Darüber hinaus werten sie die Fallzahlen im Landkreis aus, führen die Statistik über vom Landkreis selbst bestelltes Material ebenso wie über das vom Freistaat gelieferte und erstellen Übersichten und Grafiken über die Lagerbestände und vieles mehr. Auch das Führen der Lagekarte gehört zu ihren Aufgaben.

Der Fachberater Sanitätsdienst (FB SAN) kommt vom BRK und unterstützt als Sachverständiger vor allem bei Beschaffungen von medizinischem Material und geht mit den Kollegen in der FüGK unterschiedliche Szenarien und Projekte durch. Er plant den Einsatz von Personal und Material des Sanitäts- und Betreuungsdienstes des BRK und des ASB im Nürnberger Land, um bei einer möglichen Veränderung der Lage kurzfristig reagieren zu können.

Die BeaBwZMZ sind die Beauftragten der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit – also die Offiziere der Bundeswehr, die in „normalen“ Zeiten regelmäßig Kontakt zur FüGK bzw. zum Landratsamt halten. Als Fachberater der Bundeswehr erkunden und beurteilen sie in der Coronakrise zunächst ausführlich die Lage – das bedeutet insbesondere Besuche in den Krankenhäusern im Landkreis. Auch im ehemaligen Krankenhaus Hersbruck. Zusammen mit einer Erkundungsgruppe aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm waren sie vor Ort, um Möglichkeiten für eine Reaktivierung als Notfallkrankenhaus zu besprechen. Darüber hinaus bewerten sie Materiallieferungen von ärztlicher Seite und halten kontinuierlich Kontakt zu den Chefärzten der Krankenhäuser im Nürnberger Land und zu den Ärztlichen Leitern Führungsgruppe Katastrophenschutz auf Ebene der Integrierten Leitstelle.

Wie Zahnräder im Uhrwerk

Alle Rädchen greifen nahezu lautlos ineinander. Die Rollen und Aufgaben sind klar zugeordnet. Haupt- und Ehrenamtliche mit ihrem unterschiedlichen beruflichen Hintergrundwissen ergänzen sich gegenseitig: Juristen, Baufachleute, Mathematiker, Logistiker, Physiker, Ärzte, Sozialpädagogen – sie alle wirken zusammen, um die Coronakrise bewältigen zu helfen. Alles läuft routiniert, konzentriert und ruhig ab. Dank moderner Kommunikationstechnik der IT-Abteilung im Landratsamt – Laptops sowie Headsets zum Telefonieren – ist das Klappern der Tastatur oft das lauteste Geräusch im Raum. Außer jemand wirft die Kaffeemaschine an.

Die FüGK ist Ende März/Anfang April im Schichtbetrieb 24 Stunden täglich im Einsatz – auch am Wochenende. Sie arbeitet so lange, wie der Katastrophenfall gilt. Dass dieser landesweit ausgerufen wurde, gab es bisher in der Geschichte Bayerns noch nie. Auch wurde noch nie zuvor eine Pandemie zum Katastrophenfall erklärt.

Neben der Pandemie-Bekämpfung informiert die FüGK die Bevölkerung über die aktuelle Lage – und damit gehört auch die Pressestelle des Landratsamts zur FüGK. Nur heißt sie da nicht so, sondern „S5“ oder „BuMA“. Doch was fast wie der berühmte „Buhmann“ klingt, der die schlechten Nachrichten überbringt und die Prügel dafür bezieht, bedeutet in der Sprache der Stabsarbeit „Bürgerinformation und Medienarbeit“. Ein wichtiger Baustein dabei: die Corona-Hotline, das Bürgertelefon. Hier beantworten rund zwanzig fleißige, geduldige und höfliche Landratsamts-Mitarbeiterinnen täglich kompetent die Fragen von Bürgerinnen und Bürgern rund um die Corona-Krise. Ja: es sind – bis auf drei männliche Kollegen – fast ausnahmslos Frauen, die an der Hotline sitzen. In Briefings vor und nach der „Sprechstunde“ erhalten sie von Gesundheitsamt und FüGK die neuesten Informationen und Fakten: Welche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gelten? Welche neuen Erkenntnisse im medizinischen Bereich gibt es? Welche Geschäfte dürfen geöffnet haben, welche nicht? – Die Mitarbeitenden in der Hotline fungieren sozusagen als Sprachrohr von Landrats- und Gesundheitsamt gleichermaßen, repräsentieren Staat und Demokratie nach außen.

Überhaupt – Stabsarbeit: Damit die Abläufe reibungslos ineinandergreifen, üben Haupt- und Ehrenamtliche regelmäßig Katastrophenschutz-Szenarien und deren Bewältigung: Massenkarambolage auf der Autobahn, Zugunglück im Pegnitztal, solche Dinge. Doch die Situation, die sie zurzeit vor sich haben, ist anders: Der Feind ist unsichtbar, heimtückisch und unberechenbar: Das Coronavirus. Eine Infektion damit kann völlig harmlos verlaufen – oder tödlich. Es ist irgendwie surreal: Gestandene Frauen und Männer, die es gewohnt sind, Menschenleben zu retten, Unfallopfer aus Autowracks zu ziehen und zu reanimieren oder nach ein, zwei Stunden „Feuer aus!“ an den Einsatzleiter zu melden, arbeiten gegen einen Feind, den sie nicht mit der Tatkraft ihrer Hände beseitigen können. Frauen und Männer, die es gewohnt sind, nach einigen Minuten, bei Großschadensereignissen spätestens nach einigen Stunden die Lage unter Kontrolle zu haben, kämpfen seit Wochen im Schichtbetrieb gegen ein Erbgutschnipsel. Ein Stückchen RNA, das zum Leben immer einen Wirt braucht: eine Zelle, in die es eindringt und zur Virenschleuder umprogrammiert.

Frauen und Männer, die es gewohnt sind, ein paar Stunden – wenn’s sein muss, auch Tage – kräftig draufzuhauen und dann siegreich in den Stützpunkt zurückzukehren, müssen einen Marathon absolvieren, der Wochen oder gar Monate dauern kann. Ausgang: ungewiss. Ende: offen. Eine ungewohnte Situation für alle. Besonders für die Ehrenamtlichen, die sich in ihrer Freizeit für die Bevölkerung im Nürnberger Land einsetzen. Und das unter dem Druck der Umstände: Was ist, wenn jemand aus meiner Familie krank wird? Wie geht's den Verwandten? Was wird mit meiner Firma? Meinem Einkommen? Werde ich arbeitslos Dennoch engagieren sie sich. Sie stellen sich der Herausforderung. Pflichtbewusst. So, wie sie es aus ihren Organisationen gewohnt sind. Egal, ob Feuerwehr, THW, BRK, Bundeswehr oder andere Hilfs- und Rettungsorganisationen. Sie sind da, wenn man sie braucht. Immer. Zuverlässig. Einsatzbereit.

,,Die Bewältigung der Corona-Krise ist ein Marathon, kein Sprint!", sagt Landrat Armin Kroder gleich zu Beginn, als die FüGK sich Anfang März zum ersten Mal trifft. Jetzt, Anfang April, ist das klarer denn je. DerMarathonlauf hat gerade erst begonnen. Das Licht am Ende des Tunnels glimmt noch recht schwach. Im Sitzungssaal ist es Abend geworden. Zwei Landratsamts-Mitarbeitende übernehmen die Nachtschicht von 20 bis halb acht Uhr. Die Arbeit geht weiter.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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