Kurz vorm Platzen
Wütend? Zettel und Stift können helfen!

Kurz vorm Platzen vor Wut? Trainer Thomas Reis vom FC Schalke ist aufgebracht. Zettel und Stift können ein Ausweg sein.
Foto: Jürgen Kessler/dpa
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NAGOYA (dpa/mue) - Kaltes Wasser ins Gesicht, Kniebeugen, ein scharfes Bonbon lutschen: Alltagstipps zum Dimmen akuter Wut gibt es viele. Manchem hilft womöglich eine ganz einfache Lösung: Die eigene Wut zu Papier bringen und dieses dann wegwerfen - einer japanischen Studie zufolge funktioniert das.

Wenn die eigene Gefühlslage aufgeschrieben und das Blatt dann in einen Schredder oder Mülleimer gesteckt wird, schwinde die Wut nahezu komplett, berichten die Forscher im Fachjournal «Scientific Reports». «Wir hatten erwartet, dass unsere Methode die Wut bis zu einem gewissen Grad unterdrücken würde», sagte der leitende Forscher Nobuyuki Kawai. «Wir waren jedoch erstaunt, dass die Wut fast vollständig beseitigt wurde.»

Asiatische Kultur: Wut zeigt man nicht

Eva Möhler vom Universitätsklinikum in Homburg gibt zu bedenken, dass dem Unterdrücken von Gefühlen wie Ärger und Wut in asiatischen Kulturen weit mehr Bedeutung zugemessen werde als in westlichen Ländern. «Bei uns kann meiner Einschätzung nach viel direkter mitgeteilt werden, was einen stört», erklärte die Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, die nicht an der Studie beteiligt war. Für einen Japaner hingegen sei womöglich allein schon das Aufschreiben seiner Gefühlslage ein großer Schritt. «Daher sind die Studienergebnisse auf unsere Kultur eventuell nur eingeschränkt übertragbar.»

Nobuyuki Kawai und Yuta Kanaya von der Universität Nagoya hatten rund hundert Studenten gebeten, kurze Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen wie einem Rauchverbot in der Öffentlichkeit zu verfassen. Diese wurden vermeintlich einem Experten zur Bewertung gegeben. Tatsächlich erhielten aber alle Teilnehmer dieselbe schlechte Bewertung, zudem war handschriftlich ein abwertender Kommentar vermerkt: «Ich kann nicht glauben, dass ein gebildeter Mensch so denkt. Ich hoffe, diese Person lernt etwas, während sie an der Universität ist.» Alle Probanden verspürten daraufhin Wut. Sie wurden gebeten, ihre Gedanken zur Rückmeldung aufzuschreiben. Anschließend sollte eine Gruppe den Zettel in einem Mülleimer oder einem Schredder entsorgen, eine zweite Gruppe sollte ihn in einer Box oder einem Ordner auf dem Schreibtisch verwahren.

Problem wandert in den Müll

Über Fragebögen wurde das emotionale Befinden der Männer und Frauen vor und direkt nach der Bewertung sowie nach dem Wegwerfen oder Behalten des Papiers erfasst. Bei denen, die ihr Papier in den Mülleimer warfen oder schredderten, schwand die Wut den Ergebnissen zufolge bis zum emotionalen Ausgangszustand. Bei denen, die den Zettel aufbewahrt hatten, nahm die Wut in geringerem Maße ab, wie die Forscher berichten. Das Schreiben und Vernichten wirke bei Wut offenbar ähnlich, wie ein Teddybär als Trost oder bei Angst wirken könne, so die Forscher. Ein Objekt wegzuwerfen, das mit negativen Emotionen wie Wut verbunden sei, könne dabei helfen, diese loszuwerden. «Jeder, der einen Stift und ein Stück Papier hat, kann diese Methode anwenden.» Unklar sei bisher, ob sich das Konzept auch digital umsetzen lasse - ob es also auch helfe, seine Wut auf dem Smartphone oder Laptop niederzuschreiben und den Text dann zu löschen.

Wut kommt oft aus der Kindheit

Dass manche Menschen schnell wütend werden, ist Möhler zufolge keineswegs allein auf ererbtes Temperament zurückzuführen. Oft liege die Ursache in der Kindheit, sei in Erfahrungen mit Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung oder dem Aufwachsen mit drogenabhängigen oder psychisch kranken Elternteilen begründet. «Je mehr solchen Stress man in der Kindheit erlebt, desto anfälliger ist man unter anderem auch für Wutanfälle.» Dieser Zusammenhang bleibe über Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar lebenslang sichtbar.

Bedenklich sei vor diesem Hintergrund, dass sich bei Kindern und Jugendlichen im Zuge der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten verdoppelt hätten. «Es gibt mehr schwierige Gefühle und häufiger eine ungesunde Art, sie auszudrücken.» Bisher sei dieser negative Pandemie-Effekt Studien zufolge überraschenderweise auch nicht geschwunden.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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