Einzelhandel
Widerstand gegen chinesische Billig-Marktplätze

Temu sorgte zuletzt mit Rabattangeboten von bis zu 90 Prozent für Aufsehen.
Foto: Hannes P Albert/dpa
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BERLIN (dpa/mue) - Handelsexperten und Verbände fordern ein strikteres Vorgehen gegenüber chinesischen Billig-Marktplätzen wie Temu.

«Weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber sind in der Lage, ihre Verordnungen und Gesetze gegenüber chinesischen Unternehmen vollständig durchzusetzen», sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stephan Tromp, der dpa. Dadurch entstünden Wettbewerbsverzerrungen. Das gilt dem Handelsverband zufolge etwa auch für das deutsche Lieferkettengesetz. Die Regelung soll die Einhaltung von Menschenrechten bei Zulieferern garantieren und gilt seit Januar auch für Firmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten im Inland. «Die zuständige Bundesbehörde macht mitnichten aber auch nur einen Finger krumm, um die Vorgaben bei chinesischen Unternehmen - die ebenfalls an den Endkunden verkaufen und damit im direkten Wettbewerb zu deutschen Händlern stehen - durchzusetzen», so Tromp.

Gleiche Regeln für alle sind Frage der Fairness

Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung (IFH) hält eine stärkere staatliche Regulierung ebenfalls für notwendig. «Es ist kein fairer Wettbewerb, wir brauchen mehr Transparenz. Die Politik muss aktiv werden und insbesondere Kennzeichnungspflichten durchsetzen», sagte der IFH-Geschäftsführer. Für Anbieter aus Fernost müssten dieselben Regeln und Standards wie für europäische Anbieter gelten. Das sei eine Frage der Fairness. Zugleich sieht er die Verbraucher in der Pflicht. «Bei den Preisen kann sich jeder ausrechnen, wie nachhaltig die Produkte hergestellt und transportiert worden sind und wie gut die Qualität sein kann.»

Auch der E-Commerce Verband bevh fordert eine härtere Gangart. «Wenn sich Unternehmen unfair am Markt verhalten, dann muss das unterbunden werden», sagte der stellvertretende bevh-Hauptgeschäftsführer Martin Groß-Albenhausen. Es gebe strenge Vorgaben etwa zur Produktsicherheit. Die Frage sei, warum diese Regeln nicht durchgesetzt werden könnten.

Mehr Marktüberwachung angemahnt

Die Flut an Paketen aus China ist laut HDE ein europaweites Problem, für das es eine europäische Lösung geben muss. Viele Pakete kämen zum Beispiel im Logistikzentrum des Brüsseler Flughafens an. «Und wenn die Produkte erst mal in Europa sind, dann haben sie mehr oder weniger freie Bahn. Wir müssen unseren Binnenmarkt schützen», sagte Tromp. «Wenn ein Markt mit unsicheren Produkten überschwemmt wird, ist Gefahr im Verzug.» Handelsplattformen wie Temu müssten daher aber nicht verbannt werden. «Wenn sich alle an die gleichen Regeln halten müssen, findet Wettbewerb zum Wohle des Verbrauchers statt. Dann siegt die bessere Lösung», sagte Tromp. Aber wenn es sich solche Plattformen leichter machen könne, weil Politik und Behörden sie nicht so stark kontrollieren, sei das unfair. Der HDE fordert daher eine Stärkung des Zolls, der etwa für die Paketabfertigung zuständig ist. «Der Zoll ist mit der schieren Masse schlicht überfordert», sagte Tromp, der auch Experte für Digitalisierung beim HDE ist. Ein Ansatzpunkt könnte eine digitale Plattform sein, auf der jede Sendung angemeldet werden müsse. Pakete von Händlern, die sich nicht an die Regeln hielten, könnten so einfacher und schneller aussortiert werden. Außerdem müsse die Marktüberwachung im großen Stil tätig werden.

Jeder Vierte hat bereits bei Temu eingekauft

Temu sorgte zuletzt mit Minipreisen, Rabattangeboten von bis zu 90 Prozent und teils skurrilen Produkten für Aufsehen. So hat sich die chinesische Plattform erstaunlich schnell auf dem deutschen Markt etabliert. Jeder Vierte zwischen 16 und 65 hat in den letzten sechs Jahren dort gekauft, wie eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Appinio zeigt. In der Rangliste liegt Temu damit auf dem vierten Rang, knapp hinter Otto. Im Ranking der 2023 meist heruntergeladenen Shopping-Apps in Deutschland belegt Temu laut der Webanalyse-Firma Similarweb sogar den ersten Platz. Das Unternehmen tritt selbst nicht als Verkäufer auf, sondern stellt den Händlern nur seinen Marktplatz als Plattform zur Verfügung. Hinter Temu steht das Unternehmen PDD Holdings. PDD ist in China bekannt für die App Pinduoduo, eine der am schnellsten wachsenden E-Commerce-Plattformen des Landes. Seit 2022 expandiert PDD auch gezielt im Ausland.

«Unglaubliches Geld» für Online-Marketing

Handelsexperte Hudetz hat dafür eine Erklärung. «Temu ist weltweit der größte Kunde von Google. Die pumpen unglaubliches Geld in Online-Marketing», sagte er. Das sei aktuell ein unrentables Geschäft - zumal überwiegend billige, margenschwache Produkte verkauft würden. Aber ob die chinesische Plattform langfristig Erfolg haben kann? «Wir dürfen die Beharrlichkeit von Temu nicht unterschätzen. Die haben tiefe Taschen und sind in der Lage, langfristig in den Markt zu investieren», sagt Hudetz. Viele Konsumenten sind aber skeptisch, was Online-Anbieter wie Temu betrifft. In einer IFH-Umfrage erwarten 64 Prozent nicht, dass Marktplätze mit Waren aus Asien die Etablierten wie Amazon oder E-Bay verdrängen können.

Bemerkenswert ist der Erfolg von Temu in anderer Hinsicht. Online-Shopping ist im Alltag der Deutschen zwar fest verankert, doch zuletzt lief es für die Branche nicht gut. Der Brutto-Umsatz im deutschen E-Commerce fiel nach Angaben des Branchenverbandes 2023 um 11,8 Prozent. Online-Händler blieben sogar 14,7 Prozent unter dem Vorjahresergebnis.

Warnung vor Shopping-Apps

Die Verbraucherzentrale hat auf ihrer Webseite hilfreiche Tipps veröffentlicht. Konsumenten sollten sich vor dem Kauf über die geltenden Zollbestimmungen informieren, wenn sie bei Händlern außerhalb der EU bestellen. «Sonst können zusätzliche Steuern und Zollgebühren auf Sie zukommen», hieß es. Bezahlen sollten Kunden, wenn Sie die Ware erhalten haben und zufrieden sind - nicht in Vorkasse.

Bei Elektrogeräten wird empfohlen, auf zugelassene CE-Zeichen zu achten. Die Experten verweisen auch auf die schlechten Erfahrungen, über die viele Temu-Kunden berichteten. Häufig kritisiert werde den Angaben nach die schlechte Produktqualität, nicht erhaltene Sendungen und ein schlecht erreichbarer Kundenservice.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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