Fragen & Antworten zum Corona-Exit
Kommt die Lockerungsdebatte zu früh?

Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

BERLIN (dpa) - In der Debatte um mögliche Lockerungen von Corona-Maßnahmen in Deutschland raten Fachleute verschiedener Disziplinen zu Vorsicht und umsichtigem Handeln. Warum sind andere Länder weiter, was kann bei uns noch drohen? Dazu Fragen und Antworten.

Wie bewerten Wissenschaftler die Öffnungsdebatte?

Manche können der Diskussion Positives abgewinnen, sehen aber auch Risiken. «Eine Exit-Strategie zu planen, um sie später bereitliegen zu haben, ist gut und vernünftig. Aber die Politik sollte nichts überstürzen», sagte der Virologe Friedemann Weber von der Universität Gießen. «Wenn man solche Pläne vorbereitet, muss man den Menschen auch immer klar dazu sagen, dass es noch zu nicht absehbaren Entwicklungen kommen könnte, die die Umsetzung verzögern.»

Kritik kommt von Max Geraedts, der das Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie an der Philipps-Universität Marburg leitet. Die Diskussion sende «viel zu früh» die Botschaft, dass die Pandemie schon vorbei sei. «Stattdessen werden wir in den nächsten Wochen an vielen Stellen erleben, dass Personal in allen Branchen entweder isoliert oder in Quarantäne ist, so dass es zu Einschränkungen des Alltags kommt.»

Wie ist die Skepsis zu begründen?

Allen voran verweisen Expertinnen und Experten auf die vergleichsweise große Impflücke in Deutschland - insbesondere bei Menschen ab 60 Jahren. «Und noch immer sind viele Fragen rund um die Omikron-Variante offen. Daher rate ich zu Vorsicht», sagte Weber.

Die Infektiologin Jana Schroeder (Stiftung Mathias-Spital, Rheine) argumentiert zudem mit der derzeitigen Lage: «Wir stehen vor einem weiteren Anwachsen der Infektionswelle. Je nach weiterer Entwicklung könnten möglicherweise sogar erst einmal weitere Einschränkungen sinnvoll sein», teilte sie auf Anfrage mit. «Wir müssen eine gewisse Demut walten lassen bei all den Dingen, die wir bisher nicht über Covid-19 wissen, insbesondere durch Omikron.» Sie verwies zum Beispiel auf Long Covid, Folgen möglicher wiederholter Infektionen und die begrenzten Therapieoptionen.

Könnte noch eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen?

Ja, das halten Experten für möglich. Schroeder verwies auf die noch etwa drei Millionen ungeimpften Senioren, die schwer erkranken könnten. «Das ist letztlich ein Problem für uns alle, weil im Fall einer Überlastung des Gesundheitssystems auch der Infarkt oder Schlaganfall, der ja jeden treffen kann, weniger gut versorgt werden kann.» Nicht nur die stationäre, auch die ambulante Versorgung könne überlastet werden, warnte Schroeder - durch eine zu hohe gleichzeitige Patientenzahl oder durch große Personalausfälle.

Bisher grassiert Omikron besonders stark unter Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 14 Jahren und deutlich weniger bei Menschen ab 60 Jahren. Erwartet wird, dass der Gipfel der Infektionen erst noch bevorsteht. In Krankenhäusern kommen die Infizierten, die es schwerer trifft, mit Verzug von etwa ein bis zwei Wochen an. Mit der sehr hohen Infiziertenzahl steige die Wahrscheinlichkeit, dass sich die noch älteren ungeimpften Menschen anstecken und auch wieder vermehrt schwerere Verläufe in den Krankenhäusern behandelt werden müssen, gab Geraedts zu bedenken.

Ist der Vergleich Deutschlands mit Ländern zulässig?

Die Vergleiche greifen für Fachleute zu kurz: In beiden Ländern seien die Verhältnisse anders als hier. Dänemark habe eine wesentlich höhere Impfquote, England eine weiter fortgeschrittene Durchseuchung mit schon bisher wesentlich höheren Todeszahlen. Deutschland habe bei den Menschen über 60 viermal so viele Ungeimpfte wie England, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich.

Welche Voraussetzungen nennen Wissenschaftler für Lockerungen?

Das Robert Koch-Institut hatte zwar im Vorjahr Optionen für die stufenweise Rücknahme von Corona-Maßnahmen vorgelegt - ein Plan für die Zeit mit oder nach Omikron ist indes bislang nicht publiziert worden.

Geraedts nennt konkrete Parameter: Lockerungen seien seines Erachtens erst möglich, wenn die Belegung der Krankenhäuser mit infizierten Patienten und die Zahl der Arztbesuche wegen einer Corona-Infektion tatsächlich konstant zurückgingen. Beides ist bislang nicht der Fall.

Inzidenz und Neuansteckungen zum Beispiel waren in der Pandemie lange wichtige Faktoren. Auch jetzt sind sie laut RKI nicht bedeutungslos, jedoch zunehmend unvollständig. Die Inzidenz spiegle derzeit angesichts knapper PCR-Tests nicht das wahre Bild wider, betonte auch Schroeder. Politikerinnen und Politiker müssten die Lage daher anhand einer Zusammenschau verschiedener Faktoren bewerten.

Welche Maßnahmen sollten aus fachlicher Sicht zuletzt fallen?

Die Maßnahme, die aus Sicht des Virologen Weber am längsten erhalten bleiben sollte, ist das Maskentragen: «Es ist eine relativ verträgliche, aber sehr effektive Maßnahme - insbesondere an sensiblen Orten, wie in Innenräumen, sollte man das Maskentragen beibehalten. Oder in Situationen mit vielen Ungeimpften.»


Von Gisela Gross, dpa

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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