Panik, Stress, Krisen
Wenn die Schule zu einer Psycho-Hürde wird

Symbolfoto: Christoph Reichwein/dpa
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BOCHUM (dpa/mue) - Philipp wirkt fröhlich und aufgeschlossen. Schwer vorstellbar, dass der 13-Jährige vor Monaten die sechste Klasse abgebrochen hat, weil die Schule zur Qual wurde.

«Ich werde seit der dritten Klasse gemobbt bis zum Geht-nicht-mehr, ich hatte ständig Bauchschmerzen.» Im März droht ihm ein Mitschüler, ihn zusammenzuschlagen. Da war Schluss. «Ich war komplett depressiv, musste oft schon im Schulbus heulen», erzählt der Bochumer. Theresa ging fast ein Jahr lang kaum noch zur Schule. «Ich hatte morgens Panikattacken. Ich habe es nur ganz selten noch zur Schule geschafft», sagt die zurückhaltende 15-Jährige mit sehr leiser Stimme.

Schulabsentismus betrifft nicht wenige Heranwachsende in Deutschland und kann dramatische Auswirkungen haben, betont Experte Heinrich Ricking von der Uni Leipzig. Neben Philipp und Theresa kommen acht weitere Jugendliche nach Bochum in die Tagesgruppe Unicus. Für sie alle war der Schulalltag zur unüberwindbaren Hürde geworden. Ihre Stammschule hat sie für ein Jahr freigestellt mit dem Ziel, nach einer Stabilisierung bei Unicus wieder am Unterricht teilnehmen zu können, erläutert Sozialpädagogin Eva-Maria Hagenguth. Manche waren monatelang, einige schon Jahre zuvor kaum oder gar nicht in der Schule. Das Jugendamt prüft den Bedarf im Rahmen der Eingliederungshilfe.

Was führt zu Schulabsentismus?

«Wir haben es mit hochsensiblen jungen Menschen zu tun, die sehr störanfällig sind und die mit Belastungsfaktoren und daraus resultierendem Stress nicht umgehen können», schildert Hagenguth. «Zu uns kommen Jugendliche, die aufgrund von psychischen Erkrankungen, Angststörungen, Schulangst, sozialen Phobien oder auch schweren Schicksalsschlägen chronisch keinen Schulbesuch schaffen.» Auch Vernachlässigung, Probleme mit Aggressionen können Gründe sein. «Oft fehlt ihnen insgesamt der nötige Support.» Viele seien leistungsstark, verfügten über Talente, aber «haben keine Idee von ihren Möglichkeiten, sehen keine Perspektiven und können ihre Emotionen nicht fassen».

Es geht nicht um ein Schwänzen hier und da. Die Betreffenden sind komplett raus aus der Schule und aus der sozialen Gruppe, sagt Hagenguth. Es gibt extreme Fälle: «Wir hatten schon Jugendliche, die bis zu zwei Jahre lang ihr Zimmer nicht mehr verlassen haben.» Wissenschaftler Ricking erklärt: «Die Schüler driften über Monate, manchmal über Jahre hinweg aus dem schulischen System, entkoppeln sich.» Neben psychischen Erkrankungen spiele häufig eine Rolle: «Sie stehen am Rand, sind weniger sozial integriert.» Und so mancher sei geprägt von Versagenserlebnissen und Niederlagen. Nicht selten bräuchten sie Hilfen der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Schulabsentismus kommt nicht selten vor

Statistiken gibt es nicht, Studien deuten Ricking zufolge aber darauf hin, dass im Sekundarbereich etwa drei bis fünf Prozent der Schülerschaft mit gewohnheitsmäßigem und chronischem Fernbleiben zu tun hat. Drohende Folgen: Leistungsabfall, kein Schulabschluss, schlechte berufliche Perspektiven, soziale und psychische Probleme. «Es handelt sich also nicht um ein rein schulisches Problem, sondern daraus kann ein Lebensproblem werden.» Zwar sei die Aufmerksamkeit für das Thema gewachsen, zugleich werde aber auch oft bagatellisiert. In den vollen Klassen würden Warnzeichen wie Wegbleiben nach der Pause oder häufiges Zuspätkommen häufig übersehen. Es brauche mehr Expertise und frühe Intervention. «Das Problem ist, dass wir oft zu spät kommen.» Ganz wichtig sei Vorbeugung, etwa Arbeit am Schulklima und Gewaltprävention - Stichwort Mobbing.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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