Krieg in Nahost
Israel vor dem UN-Gericht

Symbolfoto: Peter Dejong/AP/dpa
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DEN HAAG (dpa/mue) - Israel muss sich aktuell wegen der Angriffe im Gazastreifen erstmals wegen des Vorwurfs des Völkermordes vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten.

Südafrika hat das Land verklagt; beide Regierungen werden hochrangige Delegationen in den Friedenspalast in Den Haag schicken. Was wird dort verhandelt? Und was sind mögliche Folgen? Fragen und Antworten zur hochbrisanten Klage:

Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen, während der UN-Gerichtshof über Konflikte zwischen Staaten entscheiden soll. Sowohl Israel als auch Südafrika dürfen jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Südafrika vertritt der Richter Dikgang Ernest Moseneke (76), ein ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof des Landes. Die südafrikanische Delegation wird von Justizminister Ronald Lamoa geleitet. Israel schickt den früheren Richter am Obersten Gerichtshof, Aharon Barak (87), einen Überlebenden des Holocaust.

Was wirft Südafrika Israel vor?

In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Israel töte Palästinenser, «füge ihnen schweren geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen». Südafrika nennt die hohe Zahl von mehr als 21.000 Todesopfern im Gazastreifen, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, Angriffe auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen. Inzwischen ist die Opferzahl nach Angaben der Behörden, die von der islamistischen Hamas kontrolliert werden, bereits auf mehr als 23.000 angestiegen, Zehntausende wurden demnach verletzt.

Auch werden Äußerungen israelischer Minister als Beleg für die Absicht des Völkermords angeführt. Südafrika spricht von «direkter und öffentlicher Anstiftung zum Völkermord». Zitiert werden Drohungen, Gaza unbewohnbar zu machen, sowie Forderungen von rechtsextremen Ministern, Palästinenser dauerhaft zu vertreiben. Unter dem Eindruck des Massakers vom 7. Oktober, bei dem Terroristen der islamistischen Hamas und anderer Gruppierungen in Israel mehr als 1.200 Menschen töteten und rund 250 verschleppten, hatte Verteidigungsminister Joav Galant etwa von «menschlichen Tieren» gesprochen und erklärt: «Wir werden alles auslöschen.»

Was ist die Grundlage der Klage?

Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention. Beide Staaten haben diese Konvention unterzeichnet und sich damit nicht nur verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen, sondern auch diesen zu verhindern und zu bestrafen. In der Konvention wird Völkermord definiert als eine Handlung, «die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören». Israel ist durch diese Beschuldigung im Kern getroffen: Der Staat war schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge des Völkermordes an den Juden durch die deutschen Nazis gegründet worden.

Was ist die Reaktion Israels?

Israel weist die Vorwürfe entschieden zurück und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung nach den Angriffen vom 7. Oktober. «Die Vergewaltigungsmaschine der Hamas trägt volle moralische Verantwortung für alle Opfer in diesem Krieg.» Alles werde getan, um zivile Bürger zu schützen, hieß es.

Was geschieht bei der Anhörung?

Bei dieser Anhörung wird es zunächst um einen Eilantrag Südafrikas gehen. Das Land hatte das Gericht aufgefordert, das sofortige Ende der militärischen Gewalt anzuordnen und die Rechte der Palästinenser zu schützen. Das heißt, dass die UN-Richter jetzt noch nicht feststellen müssten, ob tatsächlich Völkermord verübt wurde. Es würde die Möglichkeit ausreichen, dass die Konvention verletzt wurde. Das ist eine niedrige Schwelle für eine Entscheidung. Aber auch dafür gilt, dass es deutliche Hinweise auf eine Absicht Israels geben muss, die Palästinenser auszulöschen. Dann könnten die Richter Israel theoretisch auferlegen, die Gewalt sofort zu beenden, um weiteren Schaden zu verhindern.

Wann ist ein Urteil zu erwarten?

Über den Eilantrag werden die Richter in wenigen Wochen entscheiden. Jeder Spruch ist bindend. Das Gericht hat zwar keine Machtmittel, um die Durchsetzung zu erzwingen. Doch der internationale Druck auf Israel würde sich erhöhen und eine negative Entscheidung könnte dem Ruf des Landes schaden.

Wann wird dann über die Hauptklage entschieden?

Ein solches Verfahren kann sich über Jahre hinziehen.

Warum klagt ausgerechnet Südafrika?

Jeder Unterzeichnerstaat der Völkermordkonvention kann eine solche Klage einreichen. Südafrika ist ein kräftiger Unterstützer der Rechte der Palästinenser. Das Land vergleicht seine Apartheid-Vergangenheit, also die rassistische Unterdrückung durch eine Regierung der weißen Minderheit, mit dem Umgang Israels mit den Palästinensern.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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