Klimawandel
Wie knapp werden unsere Lebensmittel?

Symbolfoto: Julian Stratenschulte/dpa
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BERLIN (dpa/mue) - Wissenschaftler der britischen Durham University machten kürzlich einen aufsehenerregenden Vorstoß: Um auf die negativen Auswirkungen auf das Klima aufmerksam zu machen und den Fleischkonsum zu reduzieren, sei es sinnvoll die Verpackungen wie bei Zigaretten mit Schockbildern und Warnhinweisen zu versehen.

Bisher sind solche Labels in deutschen Supermärkten nicht zu finden. Der Klimawandel ist dennoch präsent beim Wocheneinkauf und nimmt - gewollt oder nicht - längst Einfluss darauf, was im Einkaufswagen landet und was es kostet. Die Verbraucher müssen damit rechnen, die Folgen des Klimawandels beim Wocheneinkauf künftig stärker zu spüren. «Bei einigen Lebensmitteln wird es zu größeren Schwankungen bei Preisen und Verfügbarkeit kommen. Es wird Jahre geben, in denen bestimmte Produkte wie Avocado, Kakao, Kaffee, Mango, Kokos, Papaya und Bananen knapper werden können», sagt Agrarexperte Michael Berger von der Umweltschutzorganisation WWF. Bei vielen Produkten gebe es weltweit nur einen schmalen geografischen Gürtel, wo die nötigen klimatischen Bedingungen für den Anbau gegeben seien. Durch häufigere Extremwetterlagen steige das Risiko von Ernteausfällen. «Für Handelsunternehmen wird es dadurch schwieriger zu kalkulieren. Die Unsicherheit und Verknappung führen zu höheren Preisen», so Berger.

Schlechte Ernten: Orangen, Kaffee & Co.

Besonders anfällig sind Experten zufolge Monokulturen - also Flächen, auf denen über Jahre dieselben Pflanzen angebaut werden. Wetterextreme, Infektionen und Schädlinge haben dort leichtes Spiel und können große Teile der Ernten zerstören. Berger verweist auf Kakao-Anbaugebiete in Bolivien und Kolumbien, wo es in den vergangenen Jahren Ertragsausfälle von 30 Prozent gegeben habe. Auf einigen Plantagen gab es Totalausfälle.

Wegen schlechter Ernten, einer grassierenden Pflanzenkrankheit und Hurrikans wurde zuletzt auch Orangensaft knapp und teurer. Auch Kaffeebauern litten weltweit unter heftigen Einbußen und den Folgen des Klimawandels. Studien zufolge könnte bis 2050 die Hälfte der weltweiten Anbauflächen für Kaffee bedroht sein. Kaffeeröster Tchibo rechnet deshalb mit steigenden Preisen. Knapper und teurer wurde zuletzt auch Olivenöl. In Spanien sank der Jahresertrag, der in den vergangenen Jahren im Schnitt bei rund 1,5 Millionen Tonnen lag, in der Saison 2022/2023 auf weniger als die Hälfte. Grund war das zu trockene Wetter.

«Es wird Verschiebungen geben»

Auch Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), sieht einen großen Einfluss des Klimas auf die Erzeugung von Lebensmitteln und die Produktionsgrundlagen. Dies betreffe nicht mehr nur Schwellenländer, auch der heimische Anbau sei sehr beeinträchtigt. «Es wird Verschiebungen in den Herkunftsländern geben, aber ich bin überzeugt, dass es dennoch gelingt, die Breite des Lebensmittelangebotes zur Verfügung zu stellen.» Bei einigen Anbaugebieten werde es klimabedingt schwieriger, dafür könnten anderswo neue erschlossen werden. «Vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass wir an der Donau Soja oder in Deutschland Melonen anbauen können. Heute geht es.» Milderes Klima und längere Vegetationsphasen erlaubten häufigere Ernten. Was Sabet auch Hoffnung macht, sind neue, hitzeresilientere Sorten, die schneller durch neue Züchtungstechnologien entstehen, die zielgerichtet in das Pflanzenerbgut eingreifen. Bewässerungssysteme für Dürreperioden und bessere Prognosen würden helfen, sich auf das Klima und zunehmende Extremwettereignisse einzustellen. «Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten, aber wir haben einige Möglichkeiten, uns an die Folgen anzupassen.»

Jeder Zweite sorgt sich um Verfügbarkeit

Experten rechnen nicht damit, dass einzelne Produkte komplett aus den Supermarktregalen verschwinden. Die Verbraucher sind dennoch beunruhigt: Einer Yougov-Umfrage zufolge ist jeder Zweite entweder «voll und ganz» oder «eher besorgt», dass Lebensmittel wie beispielsweise Kakao, Kaffee oder bestimmte Gemüsesorten nicht mehr oder nur noch eingeschränkt verfügbar sein könnten.

Der Lebensmitteleinzelhandel bemüht sich indes, die Auswirkungen für die Kunden so gering wie möglich zu halten. Bei Obst und Gemüse schaue man, ob und welche Alternative es bei im Hinblick auf das jeweilige Anbauland gebe und strebe eine Risikostreuung an, sagt ein Rewe-Sprecher. So beschaffe man etwa Steinobst aus Italien und Spanien. Mithilfe neuer Techniken sei es möglich gewesen, den Erdbeer-Anbau in Spanien zu optimieren und die Einflüsse des Klimas zu minimieren. Mit Griechenland ist ein weiteres Ursprungsland erschlossen worden. Um die Abhängigkeit von Importen zu reduzieren, setzt Rewe seit einigen Jahren verstärkt auf den Ausbau seiner regionalen Produkte. Je nach Region umfasst die saisonale Produktpalette 50 bis 190 verschiedene regionale Artikel. Auch Kaufland setzt nach eigenen Angaben immer mehr auf heimische Produktion, sprich: Regionalität.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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