Minister ringen um Kurs
4. Corona-Welle: Höchststand an Neuinfektionen

Foto: Moritz Frankenberg/dpa/Symbolbild

BERLIN/LINDAU (dpa) - Die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus ist in Deutschland auf einen Rekordwert gestiegen. Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages insgesamt 33.949 Corona-Neuinfektionen - so viele wie noch nie. Das geht aus Zahlen des RKI von Donnerstagmorgen hervor. Vor einer Woche hatte der Wert bei 28.037 Ansteckungen gelegen. Der bisherige Rekord lag bei 33.777 Fällen am 18. Dezember 2020.

Das Allzeithoch fällt zusammen mit dem Beginn einer Konferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern in Lindau am Bodensee. Die Ressortchefs wollen dabei ihren Beratungen den Corona-Kurs für den Winter abstecken. Diskutiert werden soll bis Freitag unter anderem, wie mehr Menschen zu Auffrischungsimpfungen bewegt werden können. Auch eine Testpflicht in Pflegeheimen ist Thema.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche - liegt nach jüngsten RKI-Angaben nun bei 154,5. Am Mittwoch hatte der Wert 146,6 betragen, vor einer Woche 130,2. Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - den für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigsten Parameter - gab das RKI mit 3,62 an (Dienstag: 3,29).

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte am Mittwoch seinen Appell zu mehr Auffrischungsimpfungen bekräftigt, um schon länger zurückliegende Impfungen zu verstärken. Aus seiner Sicht reicht das Tempo beim «Boostern» nicht. Daher sollten die Länder alle Menschen über 60 Jahren anschreiben und darauf hinweisen. Aus den Ländern kam der Vorschlag, alle Über-70-Jährigen anzuschreiben, wie aus einem Beschlussentwurf hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Bayern, das derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz hat, will zudem einen neuen Vorstoß machen, um Drittimpfungen für alle zu ermöglichen. Es müsse gelingen «vor die Lage» zu kommen, sagte Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU). Die Drittimpfungen seien zugelassen. «Wir werden sehr, sehr deutlich diskutieren müssen, wie der Weg jetzt geht.»

Niedersachsens Ressortchefin Daniela Behrens (SPD) kritisierte den bislang nötigen Vorlauf von 14 Tagen bei der Bestellung von Impfstoffen. «Das ist ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen können», sagte sie der «Neuen Osnabrücker Zeitung». «Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister muss hier dringend neue und pragmatischere Vereinbarungen mit dem Arzneimittelgroßhandel treffen, die eine flexiblere Planung der Impfungen vor Ort ermöglichen.»

Strittig war zuletzt, ob die Länder für Booster-Impfungen auch die regionalen Impfzentren wieder aktivieren sollen. Auf einen entsprechenden Vorschlag Spahns hatten mehrere Bundesländer, der Deutsche Städtetag und Ärzte-Vertreter mit Kritik reagiert. Spahn sagte daraufhin, die öffentlichen Angebote für Auffrischungsimpfungen müssten nicht unbedingt in großen Impfzentren erfolgen. Angebote außerhalb von Arztpraxen seien aber wichtig: Zu viele Impfwillige fänden «aktuell keinen Arzt, der sie impft».

Das Bundesministerium hat auch eine umfassende Testpflicht in Pflegeheimen gefordert. Der Beschlussentwurf aus Länderkreisen sieht aber nur vor, dass Bund und Länder «darauf hinwirken, dass ein ausreichendes Testangebot in den Einrichtungen vorgehalten wird». Eine 2G-Option (also Genesene und Geimpfte), wie vom Bund vorgeschlagen, findet sich in dem Papier für Pflegeheime nicht.

Dabei fände Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eine Testpflicht dort «absolut richtig». Man dürfe nicht «wieder die Fehler machen vom Anfang der Pandemie, wo Menschen einsam gestorben sind». Der Deutsche Pflegerat meinte: «Verpflichtende Tests finden wir absolut richtig, weil wir natürlich einen Schutz für die Bewohnerinnen und Bewohner aufbauen müssen.» Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sagte der «Bild»: «Kein Ungeimpfter darf Kontakt zu einer derart vulnerablen Gruppe haben, weder beruflich noch als Besucher. Das gilt für Senioren- und Pflegeheime wie für Intensivstationen.»

Auch in der Frage, ob die Corona-Pandemie nach dem 25. November noch als epidemische Notlage von nationaler Tragweite eingestuft werden sollte, ist bisher kein gemeinsamer Kurs von Bund und Ländern erkennbar. Spahn sprach sich jüngst wie die möglichen künftigen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP dafür aus, die Einstufung als Rechtsgrundlage für weitgehende Corona-Einschränkungen nicht mehr zu verlängern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte die vom Bund vorgeschlagene Ersatzlösung dagegen «eher eine Hilfskrücke».

Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Holetschek, kündigte an, in Lindau die Situation der Pflege in den Mittelpunkt zu stellen. «Wir merken jetzt, dass die Pflege am Limit ist», sagte er. Pflegekräfte verabschiedeten sich aus den Krankenhäusern, verkürzten ihre Arbeitszeiten, wanderten teilweise sogar zu Leiharbeitsfirmen ab. «Das darf uns nicht kaltlassen.» Nach Monaten nahezu wöchentlicher Videokonferenzen verhandeln die Minister erstmals wieder in Präsenz.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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