Zeitintensiv und hochkomplex
Corona: Die Suche nach der Mutante B.1.1.7

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INGELHEIM (dpa/lrs) - Die Analyse des Coronavirus-Erbguts ist hochkomplex und dauert mehrere Tage. Vom positiven Sars-CoV-2-Laborbefund nach einem PCR-Test bis zu den Daten, die an das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt werden, vergeht etwa eine Woche. Bis zu 1500 Proben kann das private Labor Bioscientia im rheinhessischen Ingelheim von jetzt an pro Woche auf Mutanten analysieren - dank eines hochmodernen rund 1,6 Millionen Euro teuren Sequenzier-Automaten. Er bestimmt die Reihenfolge der Basen in der Virus-RNA und ermöglicht so Vergleiche.

Drei bis vier Medizinisch-Technische Assistenten (MTA) seien etwa drei bis vier Tage mit der Aufbereitung der viralen Nukleinsäure-Moleküle des Coronavirus für die automatische Analyse in der Maschine voll beschäftigt, sagt Bioscientia-Sprecher Hendrik Borucki. Eine MTA könne pro Tag mit Hilfe von speziellen Geräten 96 Proben für die Sequenzierung vorbereiten. Denn die Virus-RNA mit ihren rund 30 000 Bausteinen sei zu lang für die direkte Verarbeitung und müsse daher in 250er Fragmente zerteilt, markiert und biochemisch an eine Platte gebunden werden. «Alle Fragmente müssen untersucht und die Daten anschließend wieder zusammengesetzt werden.»

Die Corona-Infektionszahlen gehen wieder runter. Mit Sorge wird aber die Ausbreitung der besonders ansteckenden Mutanten des Virus beobachtet. Bioscientia in Rheinhessen ist eines der größten Labore in Deutschland, das bei der Beantwortung dieser Frage hilft.

Der Sequenzer-Automat brauche schließlich etwa 26 Stunden für die Sequenzierung der Basen-Fragmente auf den Platten. Am Ende liege die Information über die genaue Abfolge der Basenpaare in jeder einzelnen Patientenprobe vor. Bio-Informatiker gleichen sie mit der Referenz-Sequenz des Virus aus Datenbanken ab - und finden so unter anderem die derzeit gefürchteten Mutanten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien. Die Fehlerquote tendiere dabei gegen null, sagt Bioscientia-Geschäftsführer Oliver Harzer.

Corona Mutationen aus Großbritannien, Brasilien und Südarfrika.  | Foto: © Romain TALON/stock.adobe.com
  • Corona Mutationen aus Großbritannien, Brasilien und Südarfrika.
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Die Ergebnisse werden an das RKI gesendet, das daraus - zusammen mit den Daten einer Handvoll anderer Labore in Deutschland - eine Karte über die Verbreitung der Mutanten in der Bundesrepublik erstellt. Darunter sind etwa Centogene in Rostock oder der Ladr Laborverbund in Geesthacht.

Um herauszufinden, wie schnell sich vor allem die britische Mutante B.1.1.7 verbreitet, hat das RKI eine Sequenzierung von fünf Prozent der Neuinfektionen angeordnet. Unterhalb der Grenze von 70 000 Neuinfektionen pro Woche sollen es zehn Prozent werden. Es gehe darum, in Deutschland eigene Daten über die Schnelligkeit der Verbreitung zu erheben, sagte Harzer. Das Gesundheitssystem und die Auswirkungen der unterschiedlichen Lockdowns in den Nachbarländern seien doch sehr unterschiedlich.

Das Labor untersucht aber auch auf schriftlichen Antrag von Gesundheitsämtern und Landesgesundheitsbehörden nach bestimmten Ausbrüchen etwa in Kitas, Krankenhäusern oder Betrieben in positiven PCR-Corona-Tests nach Mutanten. Die Datensequenzen können an die Behörden aber nicht so übermittelt werden wie an das RKI. «Damit könnten sie nichts anfangen», sagt Bio-Informatiker Christian Decker. Mit seinem insgesamt siebenköpfigen Team arbeitet er derzeit auch an einem Portal für die Befunde.

Leberwerte, Antikörper, Hormone: Vor Corona untersuchte Bioscientia vor allem Blutproben. Und das für den gesamten Rhein-Main-Neckar-Raum. «Von Hanau bis Koblenz und von Kaiserslautern bis Mannheim», sagt Borucki. Dazu kommt noch ein Verbund mit 20 Standorten in der ganzen Republik.

Vor Corona seien in der Labor-Halle in Ingelheim jeden Tag 17 000 bis 18 000 Blutproben für die Analyse eingetroffen. Denn: «Drei Viertel aller medizinischen Diagnosen werden mit Hilfe eines Labors gestellt.» Höhepunkt der PCR-Corona-Tests, die das Labor jeden Tag entgegennimmt sei im Oktober und November mit bis zu 14 000 pro Tag gewesen. «Derzeit sind es 5000 bis 6000 und mehr als 15 000 Blutproben», sagt Borucki. Ohne neue Mitarbeiter ging es trotz Sieben-Tage-Dauerbetrieb von bis zu 20 Stunden täglich nicht mehr: Zu den rund 450 Mitarbeitern allein im Labor kamen 70 weitere Beschäftigte.

«Eine Sequenzierung ist ein technisch und zeitlich aufwendiger Vorgang und keine etablierte Routinemethode bei der Bekämpfung des Coronavirus», sagte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD). «Umso größer ist unser Dank an die nun beteiligten Labore, dass sie sich der zusätzlichen Aufgabe und der dafür notwendigen Arbeitsanstrengung angenommen haben.»

Dazu kommt Gendiagnostik: Auch Tumore, Leukämie und seltene Erkrankungen werden bei Bioscientia analysiert - nicht nur aus Deutschland, sondern etwa auch aus arabischen Staaten. Dafür hat das Labor auch den Super-Sequenzer angeschafft. Ihn und das Know-how seiner Fachleute kann Bioscientia jetzt für die Suche nach gefährlichen Coronavirus-Varianten nutzen.

«Es werden auch alle anderen Mutanten genau dokumentiert», sagt Borucki. Einige davon werden vielleicht in der Zukunft neben dem britischen, brasilianischen und südafrikanischen noch einmal eine Rolle spielen - ihr Auftreten kann dann genau nachvollzogen werden.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) stellte bei einem Besuch der Diagnostiker fest: «Wir haben eines der größten Labore in ganz Deutschland in Ingelheim, und die haben ihren Bereich in der Sequenzierung stark nach vorne gebracht.» Die Kapazität lasse sich sogar noch auf 3000 Proben pro Woche verdoppeln, «wenn wir mit Mann und Maus daran arbeiten», sagt Borucki.

In Rheinland-Pfalz soll auch beim Medizinischen Versorgungszentrum Koblenz-Mittelrhein Sequenzierung aufgebaut werden, der Umfang steht dem Gesundheitsministerium aber noch nicht fest. Mit der Unimedizin in Mainz werde auch darüber verhandelt.
Von Ira Schaible, dpa

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Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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