Geschäft mit der Not
Schleuser werden immer dreister

Bundespolizisten nehmen auf einem Autobahn-Rastplatz illegale Migranten mit gefälschten Papieren in Gewahrsam.
Foto: Sebastian Kahnert/dpa
  • Bundespolizisten nehmen auf einem Autobahn-Rastplatz illegale Migranten mit gefälschten Papieren in Gewahrsam.
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BREITENAU (dpa/mue) - Die Flucht nach Europa endet für vier junge Leute auf dem Rastplatz Am Heideholz an der Autobahn 17.

Kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze in Richtung Dresden hat eine Streife der Bundespolizei den BMW mit französischem Kennzeichen entdeckt. Nun wird der Wagen auf den Rastplatz geleitet. Eine Kontrolle der Papiere weckt bei den Beamten Verdacht. Die Insassen haben türkische Pässe und Aufenthaltstitel für Dänemark, einen Führerschein hat der Fahrer nicht. Das Dokument für Dänemark ist gefälscht. Später gibt einer der Reisenden zu Protokoll, es in Serbien erworben zu haben. Auch das Auto wurde ihnen von einem Schleuser dort zugeteilt.

«Ein ganz schmutziges Geschäft»

Es ist nicht der klassische Fall einer Schleusung, den die Beamten der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel an diesem Tag zu bearbeiten haben. Normalerweise setzen Schleuser ihre «Kunden» unweit der Autobahn ab und flüchten dann selbst - zurück nach Tschechien. Die jungen Türken - zwei Frauen und zwei Männer - sind auf eigene Faust gekommen. Nun stellen sie ein Schutzersuchen. «Schleusungen sind ein ganz schmutziges Geschäft. Hier geht es nicht um Menschen. Hier geht es nur ums Geldverdienen. So viel wie möglich und so schnell wie möglich. Welche Zustände auf der Ladefläche herrschen, interessiert den Schleuser nicht», sagt Steffen Ehrlich, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel. Es sei aber auch ein sehr lukratives Geschäft. Pro Person müssten Flüchtlinge für die letzte Etappe nach Deutschland hohe dreistellige oder sogar vierstellige Beträge aufbringen. Manchmal koste eine Flucht vom Herkunftsland bis zum Ziel sogar 10.000 Euro und mehr.

Werbung in den Sozialen Medien

Laut Ehrlich werden Fahrer abhängig von der Anzahl der Geflüchteten entlohnt. Deshalb sei das Interesse groß, so viele wie möglich auf einen Schlag zu transportieren. «Erst in der vergangenen Woche fanden wir zehn Menschen in einem Pkw.» Die Schleuser arbeiteten sehr strukturiert und seien oft europaweit vernetzt. Mit Videos würden sie für ihre Dienste in sozialen Medien werben und «Reisen» nach Deutschland anbieten - wie «kriminelle Reisebüros».

Obwohl Ehrlich in diesen Tagen als Sprecher der Bundespolizei quasi jeden Tag Pressemitteilungen über Schleusungen verschicken muss, geht ihm das Geschehen immer wieder nah. Manchmal nehme man einen Fall gedanklich mit nach Hause und spreche im Familienkreis darüber. «Wer die Tür eines Transporters öffnet, schaut in die Gesichter vieler Flüchtlinge auf engstem Raum. Dann denkt man: Das ist doch völlig irre. Viele sind erschöpft und wirken apathisch. Sie reißen während der Fahrt die Gummidichtung aus den Türen, um mehr Luft zu bekommen.»

«Schleusungen gefährlicher»

Polizeioberkommissarin Jana Kletzsch, die an diesem Tag mit ihrem Kollegen Klaus Hohmann auf Streife ist, sagt: «Vom Bauchgefühl her sind es mehr Flüchtlinge als 2015. Und auch die Umstände sind anders. Die Schleuser werden immer skrupelloser, die Schleusungen gefährlicher.» Damals hätten sich die Schleuser meist ergeben, wenn man sie auf frischer Tat gestellt habe. Jetzt flüchteten sie in hohem Tempo und gefährdeten das Leben der Insassen. Erst im Juli starb eine Frau nach einem Unfall in einem Schleuserfahrzug. Für Jana Kletzsch ist der schlimmste Moment, wenn sie nach einer Verfolgung die Türen des Fahrzeuges öffnet. Mitunter seien 20 Leute eingepfercht. «Sie stehen dort über Stunden in ihren Ausdünstungen, ihnen fehlt Sauerstoff, sie können nicht auf Toilette. Die Notdurft muss in Flaschen verrichtet werden. Man ist froh, wenn alle noch am Leben sind.» Gerade bei den gegenwärtigen Temperaturen sei das unverantwortlich.

Kampf gegen Windmühlen?

Kletzsch räumt ein, dass die Arbeit manchmal frustrierend ist, weil der Zustrom immer größer wird. Dabei könnten ihre Kollegen nur einen Bruchteil der Schleuser dingfest machen. Doch dann gebe es auch die vielen kleinen Zeichen von Dankbarkeit - etwa wenn die nach langer Fahrt völlig dehydrierten Migranten einen Becher Wasser erhalten. «Momentan fallen jede Menge Überstunden an. Wir arbeiten an der Belastungsgrenze», sagt Ehrlich. Derzeit würden Kollegen aus anderen Bundesländern am Hotspot Breitenau unterstützen.

Oberkommissarin Kletzsch weiß, dass ihr Job einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Denn die Schleuser haben viele Tricks auf Lager, passen ihre Taktik den Gegebenheiten an. In der Regel sondierten Aufklärer als Vorhut das Terrain. Manchmal werde eine Schleusung als Ablenkung inszeniert, um nachfolgende Transporte ohne Probleme über die Grenze zu bringen. «Der Scout-Fahrer fährt voran. Wenn die erste Schleusung durch ist, wissen die Schlepper, wir haben alle Hände voll zu tun. Dann kommt nach einer halben Stunde der nächste Transporter», berichtet Jana Kletzsch. Auch wenn die Kollegen Unfallstellen sichern müssten, folgten gezielt Schleuserfahrzeuge. Die meisten Flüchtlinge, die momentan im Umfeld der Autobahn 17 aufgegriffen werden, stammen aus Syrien, viele auch aus der Türkei. Anders als früher kämen die Schleuser heute oft aus der Ukraine, der Türkei und Syrien. Derzeit sitzen etwa 60 Schleuser, die von Beamten der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel gestellt wurden, in Untersuchungshaft.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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