EU feiert Ukraine-Präsidenten wie Popstar
Selenskyj schwört EU-Parlament auf "historischen Kampf" gegen Moskau ein

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, trifft zu einem EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein.  | Foto: Olivier Matthys/AP/dpa
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  • Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, trifft zu einem EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein.
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BRÜSSEL (dpa/nf) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Bürgerinnen und Bürger der EU in einer emotionalen Rede im Europaparlament auf den gemeinsamen Kampf gegen Russland eingeschworen.

«Nur unser unweigerlicher Sieg wird die gemeinsamen europäischen Werte wahren», sagte der 45-jährige Staatschef am Donnerstag im Plenum des Brüsseler Parlaments. Zugleich bedankte er sich in seiner rund 15-minütigen Ansprache für die Hilfe im Krieg gegen Russland.

Die Abgeordneten begrüßten den Ehrengast mit Jubel und lautem Applaus. Nach seiner Rede applaudierten die Parlamentarier rund eineinhalb Minuten, ehe sowohl die ukrainische als auch die Europahymne gespielt wurden. Die Ukraine verteidigt sich seit fast einem Jahr gegen eine russische Invasion. Zugleich strebt das osteuropäische Land in die Europäische Union. «Für die Ukraine ist es der Weg nach Hause», sagte Selenskyj, der nicht wie sonst häufig im olivgrünen, sondern im schwarzen Pullover mit dem Schriftzug «United24» auftrat. Dies weist auf die von ihm gestartete gleichnamige Spendenplattform für die Ukraine hin.

Selenskyj (l) wirbt bei Macron (M) und Scholz um Kampfjets.  | Foto: Lewis Joly/AP/dpa
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Schnellere Militärhilfe gefordert

Als Unterstützung für sein Land forderte Selenskyj mehr Tempo bei der Militärhilfe. Zudem drang der Staatschef auf weitere Sanktionen gegen Moskau. Er bedankte sich jedoch auch bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinen Kollegen für die bereits geleistete finanzielle oder militärische Hilfe. Auf offensive Forderungen nach der Lieferung von Kampfflugzeugen verzichtete der 45-Jährige in dem öffentlich übertragenen Teil seiner Rede.

«Ich bin allen dankbar, die dabei helfen, die begreifen, wie sehr die Ukraine gerade solche Möglichkeiten braucht, die Artilleriegeschütze braucht, Munition für diese, moderne Panzer, weitreichende Raketen, moderne Luftwaffe», sagte Selenskyj. «Ich bin all denen dankbar, die eine solche Waffenhilfe geben.» Er betonte jedoch auch: «Wir müssen die Dynamik unserer Zusammenarbeit erhöhen.» Außerdem forderte Selenskyj, dass die EU ihre Sanktionen etwa auf die Drohnenindustrie oder den IT-Sektor ausweiten müsse. Die EU arbeitet derzeit an einem weiteren Sanktionspaket.

Gespräche mit Staats- und Regierungschefs

Nach seiner Rede im Parlament traf Selenskyj sich zu Gesprächen mit den Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel unweit des Parlaments. Erst in der vergangenen Woche waren EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zu einem EU-Ukraine-Gipfel nach Kiew gereist.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Rede vor dem EU-Parlament in Brüssel gehalten.  | Foto:  Olivier Matthys/AP/dpa
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Rede vor dem EU-Parlament in Brüssel gehalten.
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Kriegsrethorik: "Totaler Krieg"

In seiner Rede im Parlament hob Selenskyj vor allem den Unterschied zwischen einer angeblichen «europäisch-ukrainischen» und der russischen Lebensweise hervor. «Es wird versucht, den europäischen 'Way of life' mit einem totalen Krieg zu zerstören. (...) Wir lassen das nicht zu.» In Russlands brutalem Krieg gehe es nicht nur um Territorium. Zugleich seien Menschenleben in Russland nichts mehr wert. «Wir verteidigen uns gegen die antieuropäischste Kraft der zeitgenössischen Welt. Wir Ukrainer auf dem Schlachtfeld zusammen mit Ihnen.» Selenskyj sprach von einem «historischen Kampf».

An die EU-Bürgerinnen und -Bürger gerichtet sagte Selenskyj, dass das Schicksal Europas niemals nur von Politikern abhängig gewesen sei. «Jeder und jede ist wichtig für unseren gemeinsamen Sieg.» Er dankte für die Lieferung von Waffen und Munition, von Brennstoffen und Energieausrüstung, von all den Tausenden Dingen, die in dem totalen Krieg gebraucht würden. Dem Parlament dankte er dafür, den Krieg kurz nach Beginn der Invasion verurteilt und sich dafür ausgesprochen zu haben, die Ukraine zu einem EU-Beitrittskandidaten zu machen. Selenskyj betonte nun: «Die Ukraine wird ein Mitglied der Europäischen Union.» Europa werde frei bleiben, «so lange wir zusammenhalten».

Ukraine will mit EU-Verhandlungen beginnen

Die Ukraine will noch in diesem Jahr mit Verhandlungen über den EU-Beitritt beginnen, darüber müssen jedoch die 27 Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden. Erst im Sommer war das Land zum Beitrittskandidaten geworden. Nach der Rede im Parlament wurde Selenskyj zu einem Gipfeltreffen mit den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten erwartet. Es wurde erwartet, dass er sich auch dort für die Unterstützung im Krieg gegen Russland bedankt - um gleichzeitig aber mehr Tempo bei weiteren Waffenlieferungen und dem Weg der Ukraine in die EU zu machen.

Die Europareise Selenskyjs ist nach einer USA-Reise im Dezember erst die zweite seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar vergangenen Jahres. Sie hatte bereits am Mittwoch in Großbritannien begonnen, wo er auch Premierminister Rishi Sunak sowie König Charles III. traf. Am Mittwochabend kam Selenskyj zudem in Paris mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen.

Unterstützung bis zum Sieg?

In London und Paris warb Selenskyj bereits um weitere Militärhilfe für den Abwehrkampf gegen die russische Invasion - insbesondere um Kampfjets. Scholz versprach ihm Unterstützung so lange wie nötig, Macron «Unterstützung bis zum Sieg».

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wurde am Donnerstag konkreter. «Nun müssen die Staaten als nächsten Schritt erwägen, rasch weitreichende Systeme und Flugzeuge bereitzustellen», sagte sie an der Seite Selenskyjs im Plenum. Diese würden benötigt, um die Freiheit zu schützen, die zu viele für selbstverständlich gehalten hätten. «Unsere Reaktion muss der Bedrohung angemessen sein - und die Bedrohung ist existenziell.»

Keiner spricht mehr von Frieden

Ganz andere Töne schlug unterdessen Bulgariens Präsident Rumen Radew an und sprch sich gegen weitere Militärhilfen seines Landes für die Ukraine aus. Das einstige Ostblockland hatte erst Ende 2022 erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs ein militärisches Hilfspaket für Kiew aus den Beständen seiner Streitkräfte auf den Weg gebracht. «Ich hoffe, dass die Regierung Vernunft zeigt und das in Zukunft nicht mehr zugelassen wird», sagte Radew am Donnerstag bei seiner Ankunft beim EU-Gipfel nach einem Bericht des bulgarischen Staatsfernsehens BNT.

«Ich höre immer seltener Aufrufe zum Frieden, und nur zum Sieg, ohne dass irgendwo irgendjemand definiert hat, was Sieg bedeutet», so der frühere Kampfjetpilot und Luftwaffen-Chef. Bulgarien werde der Ukraine und den ukrainischen Flüchtlingen weiter helfen, aber es sei Zeit, dass «Maßnahmen zum Beenden des Konflikts» formuliert würden, sagte Radew. Er wolle sich bei der EU dafür einsetzen, dass wir «die Debatte in Richtung Einstellung der Militärhandlungen» führen können.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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