Die Ängste der Deutschen in der Pandemie
Langzeitumfrage: Es steht auf der Kippe!

Dauer-Lockdown ohne Perspektive: Die Stimmung der Deutschen droht zu kippen.  | Foto: Victor Schlampp
  • Dauer-Lockdown ohne Perspektive: Die Stimmung der Deutschen droht zu kippen.
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BERLIN (dpa) - Impfdebakel, Lockdown-Marathon und Sorge vor Ansteckung: Die Stimmung der Bundesbürger in der Corona-Pandemie droht nach der Langzeit-Umfrage «Die Ängste der Deutschen» zu kippen.

So hält inzwischen rund die Hälfte der Befragten die Politiker für überfordert, noch mehr fürchten um die Wirtschaftslage. Auch die Sorge, schwer zu erkranken oder Infektionen im Familien- und Freundeskreis zu erleben, spiele eine deutlich größere Rolle als 2020, heißt es in der Untersuchung für die R+V-Versicherung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Für Manfred Schmidt, Politologe an der Universität Heidelberg, spiegelt sich in diesen Ergebnissen keine diffuse «German Angst», sondern Realismus. «Ich würde noch nicht die akute große Krise sehen, aber es ist doch eine spürbare Zuspitzung», sagt er.

Seit rund 30 Jahren läuft die Umfrage «Die Ängste der Deutschen». Die repräsentative Studie gilt Wissenschaftlern vor allem wegen ihrer Langzeit-Werte als kleiner Seismograph der Befindlichkeiten rund um Politik, Wirtschaft, Familie und Gesundheit. Am 25. und 26. Januar befragten Meinungsforscher erneut rund 1000 Erwachsene zwischen 16 und 75 Jahren für einen Zwischenstand. Die Ergebnisse lassen sich mit Interviews vom vergangenen Frühjahr und Sommer vergleichen - wie ein Pandemie-Gefühlsbarometer.

Verschiebungen sind dabei nicht zu übersehen. So sorgten sich die Bundesbürger im vergangenen Sommer vorwiegend um ihren Wohlstand und blieben beim Thema Ansteckung eher cool. Nur ein Drittel fürchtete eine Infektion, nun sind es mit 48 Prozent fast die Hälfte. Neu ist die Frage, ob es Angst mache, falls immer mehr Menschen die Lockdown-Regeln ignorierten. «Ja», sagen dazu 60 Prozent der Befragten. Es ist der höchste Wert in dieser Umfrage.

«Es spricht einiges dafür, dass diese Mehrheit von 60 Prozent weiter bereit ist, bei den Regeln mitzumachen», sagt Wissenschaftler Schmidt, der die Ängste-Umfrage seit rund 20 Jahren analysiert. «Das ist ein großes Kapital in der Corona-Bekämpfung.» Entscheidend ist aber auch, wie politische Maßnahmen bei der Bevölkerung ankommen, gerade jetzt im Lockdown und in der laufenden Impfdebatte. «Da ist etwas gekippt», urteilt Schmidt.

«Die Sache ist enger geworden für die Politik.»

So herrschte im Sommer weitgehend Zufriedenheit mit dem Pandemie-Management. Nur für 40 Prozent der Befragten wirkten Politiker damals überfordert. Das ist für Deutschland auf dem Langzeit-Angstindex der Umfrage der niedrigste Wert seit der Jahrtausendwende - und ziemlich erstaunlich für die Umstände im ersten Pandemie-Jahr. Für Schmidt signalisierte das überraschende Ergebnis auch Wertschätzung für die politische Arbeit in der Corona-Krise.

Nun sorgt sich aber mehr als die Hälfte der Interviewten (54 Prozent), dass Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind. Das sind noch nicht die Spitzenwerte des Angst-Index, der in diesem Punkt nach der Zuwanderung 2015 auf satte 65 Prozent schnellte. Für Schmidt spiegelt der neue erhöhte Wert dennoch nachlassendes Vertrauen in die Politik - ein Warnsignal.

,,Die EU ist eine Schnecke, kein Windhund"

Für den Wissenschaftler war es zum Beispiel ein grundlegender Fehler, die Impfstoffbeschaffung auf EU-Ebene zu verlagern. «Die EU ist eine Schnecke und kein Windhund», betont er. Nationale Strategien seien besser aufgegangen. Er vermisst das klare Eingestehen von Fehlern, aus denen sich lernen lasse. «Dieses Rumgeeiere sowohl bei der Europäischen Union als auch beim Bundesgesundheitsminister und der Kanzlerin, das ist doch sehr ungewöhnlich und sehr unangebracht», urteilt er. Es habe Folgen.

Für hoch gepokert hält Schmidt in diesem Zusammenhang Angela Merkels (CDU) wiederholte Versprechen, bis zum 21. September bekomme jeder, der wolle, ein Impfangebot. Was ist, wenn das bei all den Unsicherheiten nicht hinhaut? «Dann wird eine Ressource knapp, die zentral ist: Das Vertrauen der Wähler in die Politik», sagt der Politologe. Ein großer Unterschied zu 2020 sei dabei das angebrochene Superwahljahr mit Versuchungen zur politischen Profilierung. «Das wird der Stimmung nicht zuträglich sein», mutmaßt er. Merkels Impfdeadline liegt kurz vor der Bundestagswahl am 26. September.

Die neue Umfrage zeigt für Schmidt aber auch, dass die Bundesbürger die Realität sehr zuverlässig registrierten. Zum Beispiel beim Thema Wirtschaft. Die Sorge, dass sich die Lage in Deutschland verschlechtert, ist in beiden Lockdowns mit 58 und 59 Prozent nahezu identisch hoch. Nur die Furcht vor der Finanzmarktkrise hatte den Angst-Index vor mehr als zehn Jahren in diesem Bereich über 60 Prozent getrieben.

Die Sorge vor persönlicher Betroffenheit wie Arbeitslosigkeit hält sich im Vergleich dazu weiterhin in Grenzen. Nur ein Fünftel der Befragten (21 Prozent) fürchten sie im Moment - das sind sogar weniger als im ersten Lockdown (24 Prozent). Die großen Stabilisatoren liegen für Schmidt im Krisenmanagement der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik mit Überbrückungshilfen und Kurzarbeit. «Die Krisenlast ist ganz konzentriert», erläutert er. Sie treffe zum Beispiel Gastgewerbe und Reisebranche, insgesamt 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung. «Bei den übrigen zwei Dritteln hat sich kaum etwas verändert.»

Die Pandemie mit all ihren Zumutungen habe bisher nicht zu einer Krise der Demokratie geführt - manchen Modellen zum Trotz, sagt Schmidt. Die Einschränkung von Grundrechten werde meist nicht juristisch interpretiert, sondern pragmatisch - darf ich ins Restaurant, ins Stadion oder zu Oma? Auch die Exekutiv-Lastigkeit scheine kaum negativ aufzustoßen. Es sei ja aber auch keine parlamentslose Zeit.

«Die Unterstützungsbereitschaft der Bürger ist geringer geworden, aber man darf es nicht dramatisieren», fasst der Wissenschaftler die Umfrage zusammen. Noch seien die Werte überschaubar. «Von einer großen Krise sind wir ein Stück weit entfernt. Die Politik hat also noch eine Chance.»

Von Ulrike von Leszczynski, dpa

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Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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